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Das Menschenbild Viktor Frankls
und zehn logopädagogische 
Thesen

Viktor E. Frankl, Dr. med., Dr. phil., 1905-1997, war Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien und 25 Jahre hindurch Vorstand der Wiener Neurologischen Poliklinik. Die von ihm begründete "Logotherapie/Existenzanalyse" wird auch als "Dritte Wiener Schule der Psychotherapie" bezeichnet. Er lehrte an der Harvard University sowie an den Universitäten Stanford, Dallas und Pittsburgh und war Professor für Logotherapie an der U.S. International University in San Diego, Kalifornien. Frankls 40 Bücher sind in 54 Sprachen erschienen. Die englische Fassung von "…trotzdem Ja zum Leben sagen" erzielt Millionenauflagen und wurde in die Liste der "zehn einflussreichsten Bücher in Amerika" aufgenommen.

​"Prof. Dr. Viktor Frankl stellt in seinem Werk ‚Ärztliche Seelsorge‘ die Person als ein Individuum und eine Ganzheit von Körper, Psyche und Geist dar, das in der Lage ist, sein Leben sinnvoll zu gestalten. Sie verfügt dazu über Liebes-, Leidens- und Leistungsfähigkeit, die in ein Gleichgewicht treten sollten.

 

Weiterhin kann die Person ihrem eigenen Sinn-Impuls folgen und ist unabhängig von fremden Erwartungen. Daher sollten Pädagogen den Menschen als Subjekt wahrnehmen und Raum schaffen, damit dieser Impuls gelebt werden kann.

Die dritte These besagt, dass die Person nicht nur einzigartig ist, sie verfügt auch über ein Inneres Selbst, einem unzerstörbaren, heilen und um das in seiner Existenz zu erstrebende Ziel wissenden Personenkern, den Aristoteles die ‚En-Tel-Echie‘ nennt. Daher sollten die Pädagogen die verborgenen Potenziale im Menschen aktivieren.

Viertens ist die Person ein geistbegabtes Wesen, das sein Leben mittels seines Sinn-Organs Gewissen in persönlicher Verantwortung gestalten kann. Die Pädagogen geben daher dem Menschen bei der Durchführung Orientierung, indem sie Grenzen und Möglichkeiten aufzeigen.

Zudem ist die Person ist in der Lage, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen; daher gewähren Pädagogen altersadäquat Freiheit und konfrontieren mit der daraus resultierenden Verantwortung.

Die Person ist in erster Linie ein zur Selbsterkenntnis befähigter Mensch, der seine Triebimpulse bewusst erkennt und sinnorientiert handelt. Die Pädagogen unterstützen in Konfliktsituationen die Selbstbeobachtungs- und Kritikfähigkeit und zeigen Möglichkeiten der ‚Energietransformation‘ auf. Dabei üben sie bewusst die Kommunikation gemäß des 4-Botschaften-Modells von Schulz von Thun.

 

Die siebte These besagt, dass die Person bezüglich der Gemeinschaft, z.B. im Klassenzimmer, nach souveränem, liebevollem Handeln sowohl als Erlebender als auch als Leistender strebt. Der Pädagoge hilft dem Menschen, z.B. auf der Basis des Enneagramms, durch liebevolles Verstehen, Entwicklung von Selbsttranszendenz und Aufzeigen von Entwicklungsmöglichkeiten dazu, zu dem zu werden, wie er gemäß seiner Potenzialität im sozialen Kontext gemeint ist.

Zweifellos kann die Person sinnorientiert leben, wenn sie dynamisch und weltoffen, erlebnisorientiert und kreativ im Leben steht; die Pädagogen öffnen den Blick auf die Welt, damit Selbstwirksamkeit und Partizipation im sozialen Kontext wahrgenommen werden können.

Die Person kann sich selbst objektivieren und bzgl. seiner Lebensaufgabe transzendieren und sich angesichts eines schweren Schicksals Wahlmöglichkeiten eröffnen und sich als freies Wesen erfahren. Die Pädagogen schärfen daher die Wahrnehmung für den persönlichen Freiraum und leiten zu sinnvoller Entscheidung an. Folglich ist die Person über ihr Gewissen und ihr Inneres Selbst in der Lage, mit der Transzendenz in Verbindung zu treten. Pädagogen ermöglichen Rückbindung des Inneren Selbst an den Logos, die innere Weisheit, die gemäß der hellenistischen Philosophie das Ziel in sich trägt, und konfrontiert mit Visionen und Werten.“ (vgl. Schechner, Zürner: Krisen bewältigen. Braumüller 2018)

 

Quelle: Eva und Heidrun Ochoa, Potenzialentwicklung in der Schule. Eine Handreichung für Lehrer. Berlin 2020, S. 46f.

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