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Die Sonnenblume ist das Logo des Netzwerks Holistische Pädagogik

Achtsamkeitskultur

Da Lernen nicht in einem durchgeplanten, mechanisch ablaufenden Kontext stattfindet, sind sich Lehrende  grundsätzlich und ständig bewusst, dass etwas Unerwartetes geschehen kann.  Es ist also die Regel und nicht, wie häufig angenommen, die Ausnahme. Daher gilt es, unter unsicheren Bedingungen das Prinzip der Achtsamkeit wiederzuentdecken, das ein zentrales Kriterium für erfolgreiches Zusammenleben und -arbeiten in Schulen sein kann. Achtsamkeit ermahnt uns, Fehler und Grenzen zu kennen und anzuerkennen. Unter »Acht geben« verstehen wir Geistesgegenwart, Fürsorge, Umsicht, technischen Sachverstand und Bewusstsein für den Gesamtzusammenhang. Der Beweggrund, die Haltung, aus der heraus gehandelt wird, wird in dem Wort »achten« zum Ausdruck gebracht und meint laut Wahrig »hoch schätzen«, »respektieren«, »Rücksicht nehmen«, »sich danach richten«, »beobachten«, »aufpassen«.

 

In vielen Konzepten zur Förderung und Optimierung individuellen Handelns kommt Achtsamkeit ein hoher Stellenwert zu, zum Beispiel in den Theorien zur emotionalen Intelligenz, die eine vertrauensvolle Beziehung zur Bedingung einer gesunden Entwicklung machen. Achtsamkeit wurde insbesondere durch die Übersetzung buddhistischer Texte in den westlichen Kulturkreis integriert. Im Buddhismus werden fünf Fähigkeiten unter dem Achtsamen Pfad aufgeführt, wobei rechtes Verstehen, Denken, Reden, Handeln, Streben und Konzentration genannt werden. Unter Achtsamkeit wird eine selbstbeobachtende und Gedanken und Gefühlen gegenüber selbstbeherrschte sowie sich selbst entgegen- und über sich selbst hinaustretende Haltung verstanden.

 

In der Anthroposophie dient Achtsamkeit der Selbstbeobachtung und Selbstreflexion. Rudolf Steiner betont die Bedeutung der inneren Arbeit und der Bewusstwerdung eigener Gedanken, Gefühle und Handlungen. Dies ist ein Weg zur Selbsterkenntnis und zur Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit. Steiner entwickelte verschiedene meditative Übungen und Techniken, die darauf abzielen, das Bewusstsein zu erweitern und eine tiefere Verbindung zur geistigen Welt herzustellen. Achtsamkeit ist hier ein Mittel, um die innere Stille und Konzentration zu fördern, die für diese Übungen notwendig sind. Die bewusste Wahrnehmung des eigenen Körpers und der seelischen Zustände ist ebenso wichtig für Heilung und Wohlbefinden. Im anthroposophischen Sinne beinhaltet Achtsamkeit auch eine ethische Komponente: Ein bewusster und achtsamer Lebensstil fördert ein verantwortungsvolles Handeln und eine ethische Grundhaltung gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt.

 

Für die Schulentwicklung, die das Netzwerk Holistische Pädagogik anstrebt, kann auf die Arbeiten der Organisationspsychologen Weick und Sutcliff mit ihrem Konzept »Management des Unerwarteten« zurückgegriffen werden. Diese stießen bei ihrer in den USA entwickelten Managementforschung auf der Suche nach hoher Zuverlässigkeit in Organisationen bei unerwarteten Ereignissen auf das Wort „Achtsamkeit“, das in profitorientierten Unternehmen oft aus dem Blickfeld geraten ist. Sie untersuchten bei Organisationen aus dem Gefahren- und Katastrophenbereich, wie sensibel auf Konflikte, Störungen und Katastrophen reagiert wird und wie trotz eines hohen Fehlerpotenzials Management gelingen kann.

 

Insofern wird der Umgang mit Unvorhergesehenem und Unerwartetem zu einer positiven Systemeigenschaft deklariert. Dieser Forschungsbeitrag eignet sich daher, den vielen Herausforderungen an Schulen zu begegnen, indem ein Zustand kollektiver Achtsamkeit sowohl im Leitbild, Schulprogramm und bei Zielvereinbarungen angestrebt als auch im Schulalltag umgesetzt wird.

 

Weick und Sutcliff gelangten zu fünf Prinzipien eines Grundkonzepts achtsamer Interaktion und Kommunikation, die auf den Schulbetrieb übertragen werden können: Zunächst einmal geht es in einer achtsamen Schulkultur um eine entwicklungsförderliche Einstellung zum Fehler, bei der nicht der Erfolg und die Fehlerfreiheit zum obersten Ziel gesetzt werden – das wäre ein falsch verstandenes Qualitätsverständnis, wonach das Idealbild von Schule und ihren Akteuren das einer perfekt programmierten Maschine ist. Dem Schüler wird vielmehr mit der Einstellung begegnet, dass er mit einem Potenzial, einem Interesse am Lerngegenstand und einem Vorwissen ausgestattet ist. Der Lehrende gibt dem Schüler Raum, sich daran zu erinnern und in den Unterricht einzubringen. Mit dieser Haltung der ‚Achtung‘ vor der Schülerpersönlichkeit wird dieser zum Protagonisten des Lernprozesses und nicht zum Objekt von Lehrerinstruktionen.

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